Nirguna-Brahman

====== Nirguna Brahman ======
**Nirguna Brahman** (Nirguṇa Brahman), (//nir//) ohne, frei von, (//[[Guna|Guṇa]]//) Eigenschaften, Qualitäten, Form. Das bedeutet, [[Brahman]] ist frei von Eigenschaften (Gunas) der [[Maya-Shakti]], der materiellen Energie.

Die vedische Aussage lautet: Alles ist [[Brahman]], selbst die Materie ist umgewandeltes, bzw. transformiertes Brahman.

==== Brahman, sowohl persönlich als auch unpersönlich ====
Brahman bezieht sich immer auf das Absolute, die höchste Wahrheit, das höchste Sein.

„Die Wisser der Wahrheit nennen die ewige Wahrheit (//Tattva//), deren Wesen zweitlose (nichtduale) reine Erkenntnis ist, [[Brahman]], [[Paramatma]] und [[Bhagavan]], so wird es vernommen.“ ([[Bhagavatam]] 1.2.11)

Alle drei Aspekte der Wahrheit gehören zur Kategorie Brahman, und sie sind frei von allen Eigenschaften ([[nirguna_brahman|Nirguna]]) und beschränkenden Formen der Materie und dennoch gibt es unter ihnen Unterschiede. [[Brahman]] ist transzendentes Sein, ruhig, still, **ohne Ausdruck** individueller Eigenschaften, Fähigkeiten oder Formen. Je nach Kontext kann sich der Begriff **Brahman** jedoch auch auf [[Paramatma]] oder [[Bhagavan]] beziehen, welche beide zur Kategorie [[saguna_brahman|Saguna Brahman]] gehören, dem Brahman voller unbegrenzter Formen und Eigenschaften. Im Studium des [[Veda]] ist es daher von besonderer Bedeutung, immer den Kontext im Auge zu behalten.

==== Beispiel aus dem 13. Kapitel der Bhagavad-Gita ====

Das Kapitel beginnt mit einer Frage Arjunas an [[Krishna]]. Er möchte von Krishna wissen, was ist [[Prakriti]] (die Gesamtheit der Natur), Purusham (der Geniesser), Kshetra (das Feld; der Körper), Kshetra-Jnam (der Kenner des Feldes), Wissen über den Gegenstand des Wissens (Jnanam jneyam) und wie man dieses Wissen erreicht. ([[Bhagavad-Gita]] 13.1)

In einer einleitenden Erklärung fasst Krishna folgendes zusammen:

„Oh Sohn Kuntis (Arjuna), dieser Körper wird ‚das Feld‘ genannt und jene, die das wissen, werden als ‚Kenner des Feldes‘ bezeichnet. (Bhagavad-Gita 13.2)

„Oh nachkomme Bharatas (Arjuna), wisse, dass ich der Kenner des Feldes in allen Körpern (//sarva kshetreshu//) bin. Wissen bedeutet, Wissen über das Feld und die Kenner des Feldes zu haben. Das ist meine Ansicht.“ (Bhagavad-Gita 13.3)

Hier wird deutlich, es gibt zwei verschiedene Kenner des Feldes. Einer von ihnen ist der individuelle [[Atman]], der sein eigenes Feld (den eigenen Körper) kennt und der andere ist [[Paramatma]], Krishna, der alle Felder kennt.

„Ich werde nun über den Gegenstand des Wissens (//jneyam//) sprechen, was dich den ‚Nektar des Wissens‘ (//jnatvamrtam//) kosten lässt. Das [[Brahman]] ist anfanglos und von mir allein abhängig. Es befindet sich jenseits der [[maya-shakti|materiellen Natur von Ursache und Wirkung]].“ (Bhagavad-Gita 13.13)

Zusammenfassung:

* Der Körper ([[physischer_koerper|grob]]- und [[feinstofflicher_koerper|feinstofflich]], wie die Verse dazwischen erläutern) wird „**das Feld**“ genannt.
* Es gibt zwei Feldkenner. [[Atman]] kennt das eigene individuelle Feld und [[Paramatma]] (ein Aspekt Krishnas), ist der Kenner aller Felder. Beide sind //Nirguna//, ohne materielle Eigenschaften, und beide sind [[Saguna Brahman]].
* Der Gegenstand des Wissens ist Brahman, das sich jenseits von Ursache und Wirkung der Materie befindet.
* Brahman ist von nichts anderem abhängig als von Krishna, den man auch als Parabrahman, das höchste Brahman bezeichnet.

Mit dieser Grundlage kommt nun der Blick auf die Verse 14 bis 17.

„Überall hat das Brahman seine Hände und Füsse. Überall sind seine Augen, Köpfe, Ohren und Gesichter. Das Brahman bedeckt alles Existierende.“ (Bhagavad-Gita 13.14)

„Das Brahman erleuchtet alle Sinne und ebenso die Sinnesobjekte, aber selbst ist es völlig frei von materiellen Sinnen. Das Brahman hat keine Anhaftung (an Materie oder Sinnesobjekte), obschon es alles erhält. Es ist frei von allen materiellen Gunas (//nirgunam//) und trotzdem ist es der Geniesser aller Gunas (//gunabhoktri//).“ (Bhagavad-Gita 13.15)

Die vishnuitischen Kommentatoren sind sich einig, dass das hier beschriebene Brahman auf den Paramatma hinweist (den Feldkenner aller Felder), der in seiner transzendenten Gestalt alles durchdringt und erhält. Daher sind seine Augen, Ohren usw. überall. Und weil er eine spirituelle Gestalt besitzt, ist er frei von materiellen Sinnen, welche die materiellen Gunas geniessen. Sein Genuss liegt jenseits der [[Maya-Shakti]], in der Vielfalt [[vaikuntha|Vaikunthas]] und der [[atman|Atmans]], die mit ihm in Liebe ([[Prema]]) verbunden sind. Die materiellen [[guna|Gunas]] sind wie unwirkliche Schatten der ewig reinen Gunas der Transzendenz des höchsten Brahman ([[Parabrahman]]).

„Er befindet sich innerhalb und ausserhalb aller Dinge und Wesen, seien sie beweglich oder unbeweglich. Aufgrund seiner feinen (nichtmateriellen) Beschaffenheit ist er sehr schwer zu verstehen. Er ist weit weg und gleichzeitig sehr nahe.“ (Bhagavad-Gita 13.16)

„Er ist ungeteilt, obwohl er in allen Lebewesen ist (aufgeteilt zu sein scheint). Er ist als Erhalter, Zerstörer und Schöpfer zu verstehen.“ (Bhagavad-Gita 13.17)

=== Fazit ===
Wenn sich der [[Atman]], der bestenfalls sein eigenes „Feld“ kennt, aufgrund seiner Erkenntnis „ich bin Brahman“ fälschlicherweise einbildet, er könne sich zum Paramatma, zum Kenner aller Felder, verwandeln, ist das im Licht des [[Vishnuismus]] als grosse Unwissenheit (Illusion) zu verstehen.

Wortspielereien machen niemanden zu Gott. Die verkörperten Atmans befinden sich auf diesem Planeten (und in diesem Kosmos) in einer recht armseligen und erbärmlichen Situation. Ein ständiger Kampf um Essen, Unterkunft, Fortpflanzung und Schutz im Kreislauf von Geburt und Tod; auf der Suche nach Genuss, immer wieder geplagt von Krankheiten, Alter und den Folgen des eigenen Tuns ([[Karma]]).

Dennoch versuchen einige Atmans die Schriften dahingehend zu interpretieren, sie als [[Atman]] wären in der Lage, sich zu [[Gott]] zu transformieren, der Schöpfer, Erhalter und Zerstörer des Kosmos ist, und man könne dann ebenso alldurchdringend sein wie der [[Paramatma]], der sich in allen Wesen des Kosmos als Feldkenner aller Felder befindet.

[[Krishna-Chaitanya]] Mahaprabhu sagte in ähnlichem Zusammenhang sinngemäss: **Die Schriften sind in ihrer Aussage klar. Erst durch die Interpretationen der Einheitslehre [[shankara|Shankaras]] werden sie auf unverständliche Weise verschleiert.**

Nirguna bezieht sich immer auf die zeitweiligen Eigenschaften der Materie, nicht auf die transzendenten Eigenschaften Gottes oder der Vielfalt der spirituellen Welt, [[Vaikuntha]], die [[Saguna Brahman]] sind.