Bhagavan

Mit Bhagavan (Bhagavān) oder Bhagavan-svayam, wird die in sich selbst gründende Quelle allen Seins, Gott, bezeichnet. In der Bhagavad-Gita (Gesang Gottes), heißt es jeweils sri bhagavan uvaca, »Der Herr aller Füllen, Sri Krishna, sprach«.

Gottes Wesen ist unbegrenztes ewiges Sein (sat), reine und vollkommene Erkenntnis (cit) und unendlich wachsende Glückseligkeit (ananda). Er ist gestalthaft (vigraha) und der Ursprung aller unendlichen Füllen, die in seiner eigenen Kraft (Cit-Shakti) zum Ausdruck kommen. Er hat keinen direkten Bezug zu den Welten von Zeit und Raum. Bhagavan ist die urerste Ursache aller göttlichen und aller weltlichen Manifestationen. Deshalb wird er oft als höchstes Brahman, Parabrahman bezeichnet.

Die Schriften

Zuweilen wird Bhagavan oder Bhagavata auch als ehrenvoller Titel für reine Gottgeweihte (die Bhagavan im Herzen tragen) oder für Shakti-Avesha-Avatars benutzt:

„Die Sonne und der Mond vertreiben die Dunkelheit dieser Welt und enthüllen so gewöhnliche Gegenstände wie Töpfe oder Teller.
Aber diese beiden Brüder (Chaitanya und Nityananda) vertreiben die Dunkelheit aus dem Innern des Herzens und helfen uns so, den beiden Arten von Bhagavatas zu begegnen.
Einer der Bhagavatas ist die bedeutende Schrift Srimad Bhagavatam (Bhagavat-Purana), und der andere ist der reine Gottgeweihte, der in die Rasas liebender Hingabe versunken ist.
Beide Bhagavatas verschenken diese Geschmäcker reiner Liebe zu Gott, wodurch der höchste Herr selbst im Herzen seines Geweihten gebunden wird.
Das erste Wunder ist, dass beide Brüder gleichzeitig erscheinen, und das zweite ist, dass sie die innersten Tiefen des Herzens erleuchten.“
(Chaitanya-Charitamrita 1.1.97-101)

Das Srimad Bhagavatam bezeichnet ebenfalls Sri Krishna und seine erste Erweiterung Sri Balarama als Bhagavan:

krtavan kila karmani
saha ramena kesavah
atimartyani bhagavan
gudhah kapata-manusah

„Balarama (Ramena) und Krishna (Keshava), die beide Gott (Bhagavan) sind, vollbrachten in ihrer menschlichen Maskerade viele übermenschliche Taten.“
(1.1.20)

Die vedischen Schriften bezeichnen an vielen Stellen Sri Krishna, den allanziehenden Herrn, als die ursprüngliche Form Gottes (Bhagavan), die urerste Ursache aller Ursachen:

„Es gibt viele Persönlichkeiten, welche die Eigenschaften Bhagavans besitzen, aber Krishna ist die Höchste, da ihn niemand übertreffen kann. Er ist der höchste Meister, und sein Körper ist ewig, voller Wissen und voller Glückseligkeit. Er ist der urerste Herr, Govinda, und er ist die Ursache aller Ursachen.“
(Sri Brahma-samhita 5.1)

„Ich verehre Govinda, den urersten Herrn, dessen transzendente Gestalt voller Glückseligkeit, Wahrheit und ewigem Sein ist und daher den strahlendsten Glanz verbreitet. Jedes einzelne seiner transzendenten Körperglieder birgt sämtliche Funktionen aller anderen Organe und Sinne in sich, und er sieht, manifestiert und erhält ewiglich die unbegrenzte Zahl aller spirituellen und materiellen Universen.“
(Sri Brahma-samhita 5.32)

„Wahrlich, du allein kennst dich durch deine innere Energie, o höchste Person, Ursprung von allem, Herr aller Wesen, Gott der Götter, Herr des Universums!“
(Bhagavad-Gita 10.15; Gebet Arjunas an Krishna)

Im Schlusskapitel der Bhagavad-Gita, dem Gesang Gottes, wird die Erkenntnis des Brahmans als das Verborgene, das Geheimnis (guhya) bezeichnet, die Erkenntnis des Paramatmans als das noch verborgenere, das größere Geheimnis (guhyatara) und die volle Erkenntnis von Bhagavan-svayam Sri Krishna als das Verborgenste, das größte Geheimnis (guhyatama). Alle drei Erscheinungsformen werden Brahman genannt, weil sie alle aus der gleichen spirituellen „Substanz“ bestehen. Dennoch gibt es Unterschiede:

„Die Wisser der Wahrheit nennen die ewige Wahrheit, deren Wesen zweitlose (nichtduale) reine Erkenntnis ist, Brahman, Paramatman und Bhagavan, so wird es vernommen.“
(Bhagavatam 1.2.11)

Deshalb wird Krishna oft Parabrahman, das höchste Brahman, genannt. Er sagt:

„Ich allein bin der Wisser (Kenner) des Veda und der Urheber des Vedanta bin Ich.“
(Bhagavad-Gita 15.15)

Das Ziel

Wie kann der Gottsucher dann den inneren Sinn der Veden erkennen?
Indem sich das Wort-Brahman (sabda-brahman) aus sich selbst offenbart oder vom reinen Gottgeweihten offenbart wird. Denn auch das Offenbarungswort ist einer der ewigen Seinsweisen Gottes, die nicht mit unseren materiellen Sinnen oder unserem materiellen Verstand erfasst werden kann. Die Wissenschaft des göttlichen Wortes liegt in ihm selbst: es vermittelt aus dem Herzen kommende Kraft und Freude.
An den Ufern des Ganges in Benares unterwies Chaitanya Mahaprabhu seinen Geweihten Sanatana:

„…Aus Gnade zum Jiva1 hat Sri Krishna die vier Veden und Puranas2 offenbart. Er selbst gibt Kenntnis von sich selbst durch die Shastras (Schriften), den Guru (Bhakti-Lehrer) und den Paramatman …“

1 Jiva ist der in der Materie verkörperte und somit gefangene Atman.
2 Die Puranas und Itihasas werden als der 5. Veda bezeichnet.

Krsnadasa Kaviraja, der Autor des Chaitanya-Charitamrita, kennzeichnet das Wesen von Bhagavan-svayam mit folgender Strophe:

„Was die Upanischaden als gestaltloses Brahman beschreiben, ist wahrlich nur die Ausstrahlung seines Leibes. Der Purusha als Paramatman, als innerer Lenker, ist ein vollständiger Teilaspekt seiner Herrlichkeit, er (Chaitanya) ist Bhagavan-svayam, Sri Krishna selbst, mit allen sechs Füllen grenzenlos erfüllt. Er ist die absolute Wahrheit, und keine andere Wahrheit ist grösser als er und nichts kommt ihm gleich.“
(Chaitanya-Charitamrita 1.1.3)

Neuzeit

Durch den Einfluss der Mayavada-Philosophie Shankaras ist es üblich geworden, auch gewöhnliche Menschen, die Bhagavan nicht in ihrem Herzen tragen, als Bhagavata oder Bhagavan zu bezeichnen, wie beispielsweise den Inder Rajneesh, der zuletzt als Osho bekannt war.